Interview Kristina Loew - Sportpsychologische Expertin

Allgemeine Fragen an Kristina

1. Wie bist du zur Psychologie und zum Mentaltraining gekommen?
In dem Jahr, in dem ich Abitur gemacht habe, habe ich mir mehrere Möglichkeiten überlegt, wie mein beruflicher Werdegang aussehen kann und mich dafür mit Menschen aus verschiedensten Branchen unterhalten. Sehr schnell habe ich mich für Psychologie entschieden, da mich die vielfältigen Möglichkeiten, die der Studiengang bietet, begeistert haben. 2010 habe ich mit meinem Bachelor gestartet und wollte mich immer Richtung Wirtschaft und/oder Sport orientieren. Seit 2016 arbeite ich im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung, habe die Sportpsychologie aber nie aus den Augen verloren. Da ich selbst Sportlerin (Springreiten) bin, weiß ich genau, dass der Kopf sehr viel ausmacht und mentale Stärke extrem wichtig ist, um seine Leistung punktgenau abrufen zu können. Schon 2019 wollte ich die Ausbildung als Sportpsychologin starten, was aus beruflichen Gründen nicht möglich war. 2021 bot sich dann endlich der passende Zeitpunkt an, im Sommer 2022 hatte ich meinen Abschluss. Aktuell arbeite ich weiterhin hauptberuflich im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung und nebenher als Sportpsychologin.


2. Was ist deine Philosophie in den Sessions mit deinen Sportlern?
Die Betreuung von Sportlern ist wie jede psychologische Betreuung einzigartig und etwas sehr Persönliches. Dazu bedarf es einer vertrauensvollen Beziehung. Bei meiner Arbeit sind mir Authentizität, Professionalität, Wertschätzung, Loyalität, Offenheit und Transparenz sehr wichtig. Mein Ziel ist es, die Sportler darin zu unterstützen, ihre Leistung zu optimieren, ihr persönliches Potenzial voll ausschöpfen zu können und dabei auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. Die Sportler sollen im Verlauf der Zusammenarbeit mentale Techniken erlernen und selbständig anwenden können.

Allgemeine Info

Grundsätzlich ist es empfehlenswert, alle Thematiken mit einem Sportpsychologen individuell zu besprechen, um auch persönliche Lösungen finden zu können. Es gibt bei den Herangehensweisen individuelle Unterschiede, manche Sportler sprechen besser auf etwas an als andere, die wiederum anders besser unterstützt werden können. Grundsätzlich kann man nur mit dem arbeiten, was der Sportler anbietet, und muss verschiedene Methoden ausprobieren, bis es passt. Dennoch gebe ich gerne einige Ideen zu den folgenden Fragen an die Hand.
Grundsätzlich: Was passiert eigentlich auf dem Turnier? Der Reiter verliert nicht die Fähigkeiten, sondern das Vertrauen, diese abrufen zu können. Auch bei mentalen Techniken gilt: „Übung macht den Meister“. Wenn man z.B. eine Technik auf dem Turnier das erste Mal anwendet, ohne vorher geübt zu haben, und es nicht auf Anhieb funktioniert, kann es dazu führen, dass man z.B. noch nervöser wird.

Fragen der EQUILEC Community

1. Auf dem Turnier bin ich immer sehr nervös. Was kann ich dagegen tun?
Der Unterschied zwischen dem Turnier und Training ist die Einmaligkeit, eine spezielle Umgebung und besondere Erwartungen. Zunächst einmal: von Nervosität sind alle Sportler betroffen. Wichtig ist der Umgang damit: manche können gut damit umgehen und das Beste aus sich herausholen, andere leiden darunter. Jeder Sportler hat jedoch seine eigene „Stresstoleranz“ und einen optimalen Erregungszustand.
Wenn die sportliche Leistung leidet, sollte man jedoch handeln. Grundsätzlich ist es empfehlenswert, mit einem Sportpsychologen individuell zu sprechen und ein Konzept zu entwickeln. Dennoch könnte beispielsweise eine genaue Turniervorbereitung schon mal helfen und Sicherheit geben:


  • (realistische) Ziele für das jeweilige Turnier bestimmen (ergebnisorientiert – was will ich erreichen? sowie handlungsorientiert – wie möchte ich in einer bestimmten Situation agieren?). Ziele helfen dabei, fokussiert zu bleiben.
  • Mental auf den Tag und die Umgebung vorbereiten: Wo ist das Turnier? Wann muss ich da sein? Wann muss ich dann losfahren?
  • Selbstvertrauen stärken, z.B. durch das Bewusstmachen der eigenen Stärken, oder das Erinnern vergangener Erfolge
  • Atemübungen zum Entspannen (länger ausatmen als einatmen, dabei zählen)
  • Routinen etablieren – (z.B. fester Ablauf) wichtig, eins zu finden, dass immer abrufbar ist (kein Glücksbringer, der vergessen werden kann)

Wichtig ist, dass ein bestimmtes Maß an Anspannung vorhanden sein muss – weder zu angespannt noch zu entspannt können Höchstleistungen erbracht werden. Jeder Sportler sollte sein Maß zwischen Anspannung und Entspannung kennen, in dem er seine beste Leistung erbringen kann.


2. Zuhause im Training funktioniert es perfekt. Wenn ich auf dem Turnier bin und andere Leute mich beobachten, werde ich nervös, unsicher, unkonzentriert und mache Fehler. Wie kann ich mit solchen Situationen umgehen?
Im Sport und zur Leistungserbringung ist es (unter anderem) wichtig, sich konzentrieren zu können. Das bedeutet, zur richtigen Zeit die richtigen Dinge wahrzunehmen und störende Faktoren ausblenden zu können. Auf dem Turnier fällt dies oft schwerer als im Training. Je nachdem, was „richtig“ ist, kann man sich auf seine Umwelt (außen) oder auf sich (innen) konzentrieren. Wichtig ist, zwischen den unterschiedlichen Ausrichtungen wechseln zu können, da in verschiedenen Situationen verschiedene Ausrichtungen benötigt werden. Das muss man im Training bereits üben, immer mal wieder sich auf sich zu konzentrieren, auf sein Pferd, auf die Leute am Rand etc. Auch im Alltag kann man dies üben, z.B. wenn man Musik hört: mal auf den Text, mal auf die Stimme und mal auf das Instrument konzentrieren.
Um beispielsweise eine Konzentrationsroutine zu etablieren, muss man zunächst mal die Ablenkung wahrnehmen – was könnte ablenken? Woran merkt der Sportler es? Danach: ein klares Signal entwickeln, um die Konzentration wieder zu bündeln. Manche stellen sich ein Stoppschild vor, atmen bewusst aus oder geben sich ein Wort als Selbstinstruktion. Anschließend ist es wichtig, zu definieren, worauf die Konzentration jetzt ausgerichtet werden will. Was ist als Nächstes zu tun?
Auch kann man mal für sich versuchen, zu relativieren – was ist denn das Schlimmste, was passieren kann, wenn Leute dich beobachten? Sie selbst sitzen ja nicht drauf :-) (und wissen es trotzdem oft besser). Wenn es keine wirkliche „schlimme“ Konsequenz gibt, können diese Gedanken den Druck rausnehmen.


3. Ich bin vor kurzem an einer Trippelbare gestürzt und dies ist nun mein „Angsthindernis“. Wie kann ich meiner Angst vor diesem Hindernis überwinden?
Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass Angst immer ein Signal darstellt. Wo immer Angst auftritt, sollte man genauer hinsehen. In diesem Beispiel verhindert die Angst vor der Trippelbare ein entschlossenes Reiten, Zweifel treten auf und die Unsicherheit wird verstärkt. In diesen Situationen ist es wichtig, Gedanken wie „Hoffentlich geht es nicht schief“ durch positive Gedanken zu ersetzen – z.B. „Wir schaffen die Trippelbare ohne Probleme, da wir gut trainiert haben.“, um aus der Negativspirale rauszukommen. Zusätzlich unterstützt es, sich sehr gute Ritte zu visualisieren – entweder in Gedanken, oder sich frühere erfolgreiche Videos anzusehen (mehrfach). Diese Bilder geben wieder Sicherheit und stärken das Selbstvertrauen, wodurch die negativen Gedanken unterdrückt werden. Auch in der Situation helfen Entspannungsübungen wie beispielsweise Atemübungen, um die Nervosität zu reduzieren. Ziel ist es, einen konzentrierten, entspannten und positiven Zustand herzustellen, um die Aufgabe entsprechend erfolgreich bewältigen zu können.


4. In der Dressurprüfung werde ich plötzlich ganz „passiv“ und vergesse zu Reiten. Wie kann ich trotzdem aktiv bleiben?
Es ist grundsätzlich hilfreich, sich rechtzeitig mental auf eine Prüfung vorzubereiten. Auch eine schöne Übung zur Vorbereitung auf Turniere ist die Entwicklung eines sogenannten Start-Mantras zur mentalen Vorbereitung. Darunter versteht man ein „positives Selbstgespräch“ bzgl. Bevorstehender Aufgaben und eigener Ziele. Man erstellt für sich eine Art „inneren Ablaufplan“, den man entweder aufschreiben oder aufsprechen und sich vor dem Turnier durchlesen oder anhören kann. Darin sollte stehen, wie man in die Prüfung gehen will – Abläufe, positive Bilder, positive Selbstinstruktionen. Das hilft, zu stärken, positiv einzustimmen und mental auf eine Prüfung vorzubereiten. Negative Gefühle werden durch positive ersetzt – also in diesem Fall einen super positiven Ablauf konstruieren, indem der Reiter aktiv bleibt und das Reiten nicht vergisst.


5. Wenn ich ein ganz bestimmtes Pferd reite, möchte ich es immer ganz besonders gut machen. Leider bin ich dann immer sehr angespannt und hektisch, was sich dann auch auf das Pferd überträgt. Wie bleibe ich entspannt, so dass mein Pferd ebenfalls entspannt bleibt?
Der Reiter sollte sich die Frage stellen, wieso das Gefühl ausgerechnet bei diesem Pferd auftritt? Das bedeutet grundsätzlich erst mal nichts schlechtes, sondern eher im Sinne von „das ist mir wichtig“. Daraus sollten dann keine negativen Konsequenzen wie Anspannung resultieren. Auch hier kann eine Übung wie das Start-Mantra hilfreich sein, indem sich der Reiter vorab schon positiv auf die Prüfung mit dem jeweiligen Pferd einstimmt.


6. Wie gehe ich mit Rückschlagen und schlechten Ergebnissen um?
Rückschläge und schlechte Ergebnisse gehören zum Sport genauso dazu wie Siege und die Freude darüber, und darauf zunächst traurig oder niedergeschlagen zu reagieren, ist ganz normal. Wichtig ist es, eine konstruktive innere Haltung dazu einzunehmen. Dazu ist es hilfreich, Rückschläge als Momentaufnahme einzuordnen und abhaken zu können, um beim nächsten Turnier wieder selbstbewusst zu sein. Zunächst einmal kann der Sportler die Zeit nicht zurückdrehen. Rückschläge sollte man als Teil des Weges akzeptieren können. Sprich, die Akzeptanz des Ergebnisses ist ein erster Schritt. Danach kann der Sportler analysieren: Was lief gut? Was lief schlecht? Was kann der Sportler daraus lernen und das nächste Mal besser machen?
2 Punkte sind dabei besonders wichtig: positive Aspekte abspeichern und negative Aspekte verstehen und abhaken. Dabei ist es essentiell, nicht in Selbstzweifel und Selbstkritik zu verfallen. Der erlebte Rückschlag kann dann abgehakt werden – es kann eh nicht mehr geändert werden. Wichtig ist, was man daraus für die Zukunft mitnehmen kann. Der Sportler sollte auf die Punkte fokussieren, an denen er ggf. noch arbeiten kann und realistische Ziele für das nächste Turnier setzen.
Ein Tagebuch als „lessons learned“ nach jedem Turnier kann die Nachbereitung zur Gewohnheit werden lassen.


7. Ich habe beim Dressurreiten Angst in der stressigen Prüfungssituation die Aufgabe zu vergessen. Wie bereite ich mich besser vor, um diese Angst oder gar das Vergessen der Aufgabe zu verhindern?
Auch hier ist es von großer Relevanz, sich im richtigen Moment konzentrieren zu können (siehe Frage 2). Zusätzlich kann es hilfreich sein, sich nochmal extra seiner Stärken bewusst zu machen: dazu ruhig mal einen Zettel und Stift nehmen und aufschreiben, mit welcher Einstellung man in die Prüfung gehen will – es ist wichtig, auf seine eigenen Stärken und auf das, was man kann, zu vertrauen, um das Potential im entscheidenden Moment abrufen zu können. Häufig will man auf dem Turnier „extra perfekt sein“ und gerade dann muss man sich seiner eigenen Stärken bewusst sein. Von Relevanz ist es, positiv zu formulieren: „ich werde heute xy erreichen“ statt „hoffentlich vergesse ich die Aufgabe nicht“… und sich das mehrfach durchlesen und bewusst machen als zusätzliche Unterstützung.
Zusätzlich kann es auch hier unterstützen, zu visualisieren: der Reiter kann in Gedanken die Aufgabe mehrfach durchgehen; er kann sich beim Reiten der Aufgabe vor seinem inneren Auge beobachten – mal als Zuschauer von der Tribüne und mal als Reiter. Dabei kann er spüren, wie er die Aufgabe bewältigt, auf was er wann achtet und mit einem positiven Gefühl an die Sache rangehen. Mit den eigenen Stärken im Blick und indem man sich darauf verlässt, was man kann, fällt es leichter, mit dem Kopf dabei zu bleiben.
Auch eine Atemübung zum Entspannen kann hilfreich sein.


8. Grundsätzlich ist das Reiten ein Individualsport, zum Beispiel bei Meisterschaften werden allerdings auch Mannschaftstitel vergeben. Wie gehe ich mit dem Druck um, in einer Mannschaft zu reiten?
Im Reitsport ist es, anders als in vielen anderen Sportarten, auch in einer Mannschaft so, dass jeder für sich selbst reitet und anschließend die gesamten Ergebnisse zählen. Das heißt, dass dennoch darauf fokussiert wird, selbst das bestmögliche Ergebnis zu liefern und die (sportliche) Anforderung an einen selbst die gleiche ist. Dabei ist es auch unter anderem wichtig, in die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und die eigenen Stärken im Blick zu haben. Der Reiter darf deshalb in der Mannschaft reiten, weil er die entsprechenden Kompetenzen hat – sich dessen und der eigenen Stärken bewusst zu werden, ist sehr wichtig, um die Leistung erbringen zu können.

Fazit

Prinzipiell sind für die Fragestellungen immer mehrere Ansätze möglich, weshalb sich die Antworten auch gelegentlich überschneiden. Hinter jeder komplexen Fragestellung verstecken sich häufig die gleichen oder ähnliche Aspekte/Gründe, wozu es vielfache Methoden und Übungen gibt.
Bei weiterem Interesse freue ich mich über eure Kontaktaufnahme.

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